Ein indisches Märchen

In Indien gab es den Tempel der tausend Spiegel. Dieser lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig.

Ein Hund hatte von dem Tempel der tausend Spiegel gehört.
Er wusste nicht, was Spiegel sind, aber er hatte eine große Sehnsucht, den Tempel zu besuchen. Nach wochenlanger Wanderung kam er dort an. Er lief die Stufen hinauf. Als er durch die Eingangstür gegangen war, da blickten ihn aus tausend Spiegeln tausend Hunde an. Da freute er sich und wedelte mit dem Schwanz. Da freuten sich auch in den Spiegeln tausend Hunde und wedelten mit dem Schwanz. Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, daß die ganze Welt aus netten und freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohlgesonnen sind. Von da an ging er jeden Tag in den Tempel der tausend Spiegel.

Einige Zeit später kam ein anderer Hund den Berg hinauf und lief in den Tempel der tausend Spiegel. Als er durch die Eingangstür kam, blickten ihn aus tausend Spiegeln tausend Hunde an. Der Hund bekam Angst, sträubte sein Nackenfell, zeigte die Zähne und knurrte. Da knurrten aus den Spiegeln tausend Hunde zähnefletschend zurück. Der Hund zog den Schwanz ein und rannte voller Panik aus dem Tempel, in dem Bewußtsein: „Die Welt ist voller knurrender, bedrohlicher Hunde.“ Nie wieder wollte er in den Tempel der tausend Spiegel.

Der Tempel der tausend Spiegel ist die Welt:
Wer egoistisch und streitsüchtig ist, der erlebt auch Egoismus und Streit in der Welt.
Wer sich aber fröhlich und freundlich umsieht, der findet auch freundliche Gefährten.

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